Die Gamer-Plattform Twitch droht mit Sperren für Nutzer, die andere als „Simp“ verunglimpfen. Der Begriff bezeichnet eine bestimmte Art von Männern und deren unterwürfigen Umgang mit Frauen. Und warum ist er problematisch?
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71.000 Mal am Tag – so oft wurde der Begriff „Simp“ im vergangenen Dezember auf der Gamer-Plattform Twitch verwendet, das hat die Datenanalyseagentur Stream Hatchet ermittelt. Auf Twitch können Gamer Computerspiele übertragen und dafür Spenden von Zuschauern erhalten, die sich auch in Chats austauschen können. Eine neue Richtlinie von Twitch verbietet das Wort „Simp“ nun mehr oder weniger. Zumindest in einem beleidigenden Kontext, der auf die sexuelle Präferenz einer anderen Person abzielt, soll man es fortan nicht mehr verwenden dürfen – sonst droht die Sperre.
Doch was bedeutet „Simp“ überhaupt? Laut der Webseite „Know Your Meme“ fand der Begriff sich im Jahr 2005 erstmalig im englischsprachigen „Urban Dictionary“, die Erklärung dort lautet: „A guy who tags along with hot girls because he thinks it will get him laid.“ Zu Deutsch: „Ein Mann, der attraktiven Frauen hinterherläuft, weil er glaubt, sie würden mit ihm schlafen.“ Seit 2019 legt „Simp“ insbesondere durch das soziale Netzwerk TikTok einen steilen Aufstieg hin. Junge Nutzer posteten dort Videos, in denen sie Männer ironisch in der „Simp Nation“ begrüßten. Damit ist ein Sammelbecken von Männern gemeint, die erfolglos bei Frauen sind, obwohl sie diese zum Essen einladen oder Erledigungen für sie machen. Inzwischen ist das Internet voll von Bilderwitzen, sogenannten Memes, die „Simps“ karikieren.
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Warum sah sich Twitch zu den neuen Regelungen gezwungen, wenn „Simp“ doch nur lustig gemeinter Internet-Slang ist? „Unter einem ‚Simp‘ wird in der Onlinewelt jemand verstanden, der eine Frau unterstützt, etwa mit Geld, Kommentaren oder Likes, sich dafür aber im Gegenzug eine sexuelle Beziehung erhofft“, erklärt die 28 Jahre alte Gamerin Eva, deren Account BloodyNyuu rund 71.000 Menschen auf Twitch folgen. „Simp“ tut die Freundlichkeit, die ein Mann einer Frau entgegenbringt, als Mittel zum Zweck ab. Demnach sind Frauen manipulierbare Wesen, deren Existenzberechtigung sexuelle Verfügbarkeit ist. Es werden mit diesem Begriff also nicht nur Männer beleidigt, er hat auch einen misogynen Kern.
Die 23 Jahre alte Pia kennt die Gaming-Szene unter dem Namen Shurjoka. Über 138.000 Menschen folgen ihrem Account auf Twitch. Sie und Eva beobachten häufig, dass Twitch-Nutzer andere als „Simp“ betiteln, wenn diese freundlich zu den weiblichen Nutzern waren. Damit würden Männer „mundtot“ gemacht, meinen die beiden Frauen. Der Twitch-Nutzer Waidwerk kennt solche Situation nur zu gut. Er berichtet, dass er schön häufig als „Simp“ bezeichnet wurde – etwa, als er eine Frau gegen sexistische Kommentare verteidigte.
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Waidwerk findet, dass „Simp“ mittlerweile völlig fern seiner Bedeutung genutzt wird. „Natürlich gibt es Männer, die zu viel von Streamerinnen erwarten und meinen, sie hätten durch Geldspenden oder Ähnliches ein Recht auf Zuwendung. Allerdings wird der Begriff heute selbst für jemanden verwendet, der mit der Meinung einer Frau übereinstimmt. Wenn sich jemand sehr angegriffen fühlt, könnte er beim nächsten Mal zweimal überlegen, ob er eine Frau verteidigt.“
„Großes Sexismus-Problem“
In der Onlinewelt verstärkt sich die misogyne Bedeutung des Wortes „Simp“ je nach virtuellem Raum und Nutzergruppe. In der sogenannten Manosphere, also zum Beispiel in Onlineforen von frauenfeindlichen Gruppierungen wie „Incels“, wird „Simp“ häufig als Akronym von „Sucker Who Idolizes Mediocre puss*” verstanden. Zu Deutsch: „Verlierer, der eine mittelmäßige ‚puss*‘ idealisiert“. Auch die Verwendung des Wortes „Incel“ ist auf Twitch mittlerweile nur noch dann erlaubt, wenn es nicht beleidigend gemeint ist.
Mitglieder dieser Onlinesubkultur bezeichnen sich als „unfreiwillig zölibatär“ und vertreten die These, dass Frauen sich nur attraktive Männer, sogenannte Alphamänner, als Sexualpartner suchen. Sich selbst sehen sie als unattraktive „Betamänner“, die Opfer dieser Frauenstrategie sind, da sie selbst keinen Sex bekommen. Ihrer Weltanschauung nach steht ihnen Sex mit einer Frau zu, die sie in der Szene oft als „es“ bezeichnen. Tausende Anhänger dieser Bewegung tummeln sich auf Plattformen wie Reddit oder 4chan. Wird eine ihrer Seiten geschlossen, finden sie sich in kürzester Zeit in einer neuen Onlinesphäre zusammen.
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Susanne Kaiser, Autorin des Buches „Politische Männlichkeit: Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“, erkennt in der Bedeutung des Wortes „Simp“ Parallelen mit der Weltanschauung frauenfeindlicher Gruppen wie den „Incels“. „Dort glaubt man, dass sich die Geschlechter grundsätzlich feindlich gegenüberstehen und ein Spiel miteinander spielen. In diesem Spiel gewinnt man nur, wenn man etwas einsetzt“, erklärt Kaiser. „Ein ‚Simp‘ passt der Definition nach in dieses Bild: Er ist ein Mann, der Frauen mit Gefälligkeiten manipuliert, um sexuelle Gegenleistungen zu erhalten – und das Spiel verliert.“ Es ist wenig überraschend, dass dieser im Kern misogyne Begriff zu einer Zeit zunimmt, in der sich auch frauenfeindliche Gruppen immer stärker im Netz verbreiten.
„Wir haben im Internet ein großes Sexismus-Problem“, meint Gamerin Pia. Dass das Internet ein gefährlicher Raum für Frauen sein kann, zeigt eine Umfrage der Kinderrechtsorganisation Plan International aus dem vergangenen Jahr. Von 1003 Mädchen und jungen Frauen aus Deutschland gaben 70 Prozent an, auf den sozialen Netzwerken bedroht, beleidigt oder diskriminiert worden zu sein. „Wenn eine Frau belästigt wird, ist sie selbst dran schuld. Ist sie erfolgreich, wird gefragt, an welchem Typ es liegt. Man wird nicht auf dem gleichen Level wie männliche Spieler wertgeschätzt“, sagt Pia. Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2016, für die über 70 Millionen Nachrichten in den Chats von jeweils 200 Streamern und Streamerinnen untersucht wurden, kam zu dem Ergebnis, dass das Aussehen von Frauen weitaus häufiger kommentiert wurde als das der männlichen Spieler. Zu den meistgenutzten Wörtern im Chat der weiblichen Spieler gehörten unter anderem „Brüste“, „Babe“ und „süß“, während in den Chats der männlichen Streamer Worte wie „Nahkampf“ und „Bestenlisten“ am häufigsten auftauchten.
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Pia glaubt, dass der Begriff „Simp“ auch deshalb so häufig auf Twitch verwendet wird, weil derzeit ein Umbruch auf der Plattform stattfindet. „Es gab noch nie so viele erfolgreiche weibliche Streamer. Das ist vor allem denjenigen ein Dorn im Auge, die eh Problemen mit Frauen haben“, sagt die Gamerin. Die Szene galt lange Zeit als Männerdomäne, doch spätestens seit weibliche Gamer bei den großen E-Sports-Wettbewerben mitmischen, gerät diese Vorstellung ins Wanken. „Hegemoniale Männlichkeit gerät immer mehr in Bedrängnis“, erklärt auch Susanne Kaiser. Damit ist die Vorstellung gemeint, ein Mann übernehme die dominante soziale Position innerhalb der Gesellschaft, während sich die Frau unterordnet. Diese Wandlung sei unter anderem durch die MeToo-Debatte oder Diskussionen rund um die Strafbarkeit von Catcalling, dem unerwünschten übergriffigen Kommentieren oder Ansprechen von Frauen, ausgelöst worden.
„Mit Begriffen wie ‚Simp‘ würdigt man Menschen herab und schafft eine Ungleichheit. Manche Männer nutzen dieses Wort, um ihre eigene Männlichkeit aufzuwerten“, sagt Kaiser. Sie sieht der neuen Regelung hoffnungsvoll entgegen: „Ich glaube an die performative Kraft der Sprache. Diese gefestigten Vorstellungen von Männern und Frauen kommen auch dadurch zustande, dass solche Begriffe benutzt werden.“ Ob die neuen Regelungen auf Twitch dazu beitragen werden, dass der Begriff tatsächlich weniger genutzt wird? Laut Stream Hatchet tauchte der Begriff am Folgetag der neuen Richtlinienverkündung fast doppelt so häufig wie am Tag zuvor: rund 140.000 Mal.
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